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Napoleonstatue mit vebundenen Augen am zentralen Platz in Bastia

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Auf Achse
22. August 2023

Des Vacances en Corse — fotografisches Tagebuch

Ein Tagebuch unserer Entdeckungen auf Korsika, dem kleinen Paradies im Mittelmeer.
Aufgrund der vielen Fotografien ist mit verlängerten Ladezeiten zu rechnen.

Flugzeugflügel über den Alpen, blauer Himmelrosa pink rot blühender Oleander

Tag 1
Anreise und Ankunft
Los geht's mitten in der Nacht mit Lufthansa über BER über München nach Bastia BIA. Wir steigen aus und es ist, als ob uns jemand mit dem Föhn heiß ins Gesich pustet. Flugzeit ca. anderthalb Stunden. Per Bus in 35 Minuten in die Innenstadt.
Erster Eindruck Mini-Neapel, nicht ganz so dreckig aber ebenso pittoresk. Wir erklimmen den Berg zu unserem Hotel. Kein Wunder, dass hier jedermann motorisiert ist. Erster Versuch französisch zu sprechen scheitert — nach 1.5 Sätzen unterbricht mich die Rezeptionistin, sie möchte lieber Englisch mit mir sprechen, schade. Die Korsen fühlen sich von den Franzosen bedrängt, es wird ein bleibendes Thema während unserer Reise.

Wir geben unsere Koffer ab und machen los, erster Erkundungsgang durch die Unterstadt. Erfrischende Kaltgetränke zu Füßen eines Napoleon mit verbundenen Augen und Palmwedeln. Überall wild blühende Oleander, mehr Blüten als Pflanze. Zypressen, mitten auf dem Asphalt wachsen Feigenbäume wie Unkraut.

Wilde Feigenbäume auf KorsikaBlick durch einen Tunnel auf Boote im Althafen in Bastia, Porto Vecchioweiß blühender Oleander auf Korsika SteinmauerDas Café Les Palmiers am Napoleonsplatz in Bastia
Treppen im Garten bei der Zitadelle in Bastia

Tag 2
Leclerc und Strandtag

Gut ausgeschlafen, dann Frühstück im Leclerc (wie bei uns Edeka) beschafft. Fremde Produkte unter die Lupe genommen (Ancho-i-ade?), alles von viel besserer Qualität als bei uns, aber die Käse- und Fleischtheken sehen fantastisch aus. Ich überlege, ob ich Samen der vielen bunten Tomatensorten mit nach Hause schmuggeln sollte...  Entspannt im Zimmer mit Meerblick gefrühstückt, Madeleines von Bonne Maman zuckersüß. Auf zum Strand!

Längerer Laufweg, mehr Feigen, kleiner Garten an der Zitadelle und ulkige Kakteen. Ein Gebäude, bei dem uns die Vorstellung gruselt, den Balkon zu betreten, weil es so zerfallen aussieht. Letztes Jahr gab es wohl nationalistische Aufstände, Spuren noch sichtbar. Ich habe mich als Deutsche im Urlaub in Schlesien manchmal unwohl gefühlt, aber hier dürfen die reisenden Franzosen direkt aus ihrem Hotelzimmer auf unwirsche Graffiti schauen: „Terra Corsa a i Corsi" und „Français merde". Selten, dass man sich als Deutscher mal mehr willkommen fühlt?

Zuerst kleiner Steinstrand, später dann Plage d’Arinella, dick mit Sonnenschutz beschmiert. Gefährliche Qualle und ihr Opfer sowie niedliche Oma in Pink beobachtet. Auf dem Rückweg trage ich mein schweißdurchtränktes Hemd in der Hand und lasse es im Wind wehen, in der Hoffnung, es trocknet rechtzeitig, dass wir nicht zu sehr vom Restaurant missbilligt werden. Abends Erlösung per Dusche. Irgendwie sind wir trotzdem beide rot.

Möwe und braune Tauben am MittelmeerGraffiti und Wandmalerei in BastiaHeruntergekommene Gebäude am Porto Vecchio am Althafen von Bastiakleines Segelboot auf dem MittelmeerAndy und Lisa am StrandOhrenkaktus mit Früchten

Tag 3
Barocker Spaziergang durch die Altstadt

Den gleichen Spaziergang noch mal, aber heute richtig: Kirchen Saint Roch, l’Oratoir und Saint Jean Baptiste von innen bestaunt, durch den Hafen den Jardin hinauf per steiler Treppe, geradewegs in die Zitadelle. Dort Museum von Bastia besucht. Extrem günstig für sehr spannende Inhalte, 5€ für jeden. Schöne Impressionen des Hafenflairs, Skulpturen mächtiger Männer wie Mattei, Paoli und Napoleon, und eine beeindruckende Sonderausstellung über die Zustände der Insel während des 2. Weltkriegs. Leichte Verstimmung durch amerikanischen Propaganda-Film Thunderbolt und eine sehr gruselige, leere, tiefschwarze Zisterne im Keller. Non, merci!

Gegessen im Restau direkt auf dem Zitadellenhof, Burger und Edamame-Sandwich mit Lammkarree. Absprung zum kleinen Strand am Straßenrand, ein paar Minuten später hüpft unsere Kellnerin von gerade eben neben uns ins Wasser. Auf dem Rückweg kleine Minki getroffen. Tag ruhig mit kleinem Abendbrot auf dem Zimmer ausklingen lassen.

freilaufende Katze auf Steinen am MittelmeerNapoleon-Büste im Museum in der Zitadelle in Bastia mit Kanonenrohrimpressionistische Malerei Bastia Korsikaantikes Relief im Museum in BastiaStatue einer Frau  im antiken Stil im Jardin an der Zitadelle in BastiaPolitisches Plakat zu Frankreich und Korsika, PropagandagrafikPolitisches Plakat zu Kriegsgefangenen, PropagandagrafikAnleitungsbuch für Rezepte in der Zeit der Rationierung im zweiten WeltkriegArtikel über Bestrafungen verräterischer Korsen zur Zeit der Besatzung
Wolken über den Bergen bei Pietranera

Tag 4
Pietranera

Unser Versuch, ein Auto zu organisieren, scheitert. Andy hat keine Kreditkarte, ich habe eine aber keinen Führerschein. Okay, Planänderung. Wir besuchen die überaus hilfreiche Touristeninfo, um andere Erkundungsangebote einzuholen, und buchen einen Bootstrip an die Nordspitze des Cap Corse. Läuft!
Heute rollen muffige Wolkenschlösser über die Berge auf uns zu und es wird unerträglich schwül. Gemütlicher Spazierweg über Toga in eine Nachbarsiedlung voller hübscher Villen. Die Gärten der Häuser gefüllt mit riesigen blühenden Büschen, die bei uns als Zimmerpflanzen nicht höher als einen halben Meter werden. Aprikosen, Limetten, Orangen und ein haushoher Drachenbaum, dolce vita. Ich fasse den Plan, in meinem Garten eine Mittelmeer-Ecke einzurichten. Stecklinge von Oleander, Oliven, Feigen, Zitrus und Co darf ich nicht mitbringen, denn durch den Klimawandel breitet sich im Mittelmeerraum ein Bakterium aus, dass bei Einschleppung daheim für die Verwüstung ganzer Landstriche sorgen kann, plus Schadensersatz, sollten Landwirte dadurch Ernteverlust erleiden. Dann lieber nicht.
Versteckt über eine winzige steile Gasse kullern wir hinab zu einem Steinstrand, trinken in „La Baraque" etwas Kühles, essen Pasta- und Chèvre-Salat. Danach ab ins Wasser, heute ist das nicht so einfach. Es ist erhöhter Wellengang, die Schübe haben eine große Wucht und lassen uns die glatt geschliffenen Klumpen auf die Füße plumpsen, das tut weh. Und im Wasser schlummern viele große Brocken, man muss aufpassen, nicht von den Wellen dagegegen geworfen zu werden. Ein paar Jungs haben entschieden, dass das die perfekten Konditionen sind, um sich völlig sorglos von einem der Wellenbrecher ins schwarze Nass zu stürzen.

Zurück nach Bastia, für Andy gibt es heute zarte Rippchen mit einer hausgemachten Sauce. Wenn man sich nicht explizit einheimische Gerichte aussucht, ist die Küche hier sehr tourifiziert, viel Pizza, Burger und Pasta, von der ich behaupten würde, dass ich sie selbst zuhause besser kochen kann. Aber für mich gibt es heute zum Abend besonders lecker: der Salad Corse wird als eine Art Brotzeit gereicht, eine Charcuterie mit kräftigem, deftigem, korsischem Schinken, Käse und Salami, dazu intensiv blumige Melonenspalten, ein würziges Feigenmus und einheimisches Olivenöl.

Spielende Jungen badend am Strand

Tag 5
Reinfall Casamozza

Wir wollen eine korsische Zugfahrt ausprobieren und fahren ab dem sehr nüchternen Gare de Bastia, scheinbar in der Zeit um 1970 stecken geblieben, nach Casamozza. Die halbstündige Zugfahrt ist unterhaltsam, man sieht, wie die Leute im Umland leben, nicht viel anders als in der Stadt und grundsätzlich sehr hübsch anzusehen mit den Gärten und pink gestrichenen Höfen, etwas ärmlich aber. Inklusive ruckliger Tunnelfahrt und  Druck auf den Ohren durch die starke Steigung.
Angekommen in Casamozza merken wir sofort: keine guten vibes. Irgendwie ist hier ... nichts? Wir schauen online nach. Die beschauliche Kirche und netten Wirtschaften, die wir auf den Bildern gesehen hatten, sind in einem Dorf weiter außerhalb, zu dem wir von hier aus eine Stunde laufen müssten, kein Fußweg sondern über die ungesicherten Landstraßen. In der ekelhaft schwülen Betonwüste, maximales Interessengebiet eine Total Tankstelle? Ähm, nein. Wir versuchen, den nahegelegenen Fluss Golo zu erkunden, finden sogar eine spannende Brücke, aber der Fluss ist verwildert und von der Brücke aus nicht zu erreichen. Satz mit X, wir geben auf.

Wir laufen zurück zum Bahnhof Casamozza und warten anderthalb Stunden auf den Zug zurück, wenigstens das funktioniert dann auch einwandfrei. Als Entschädigung gönnen wir uns ein dickes Eispaket genau am schönen Althafen. Für Andy gibt es Amarena, für mich einen eisgefüllten Profitérole, das ist jetzt genau richtig. Wir stellen fest: obwohl immer mit  Geheimtipps geworben wird, haben wir bis jetzt in all unseren Urlauben die besten Erfahrungen gemacht damit, uns ungefähr an das offensichtlich auf Touristen ausgelegte Angebot zu halten. Mal sehen, wann wir das endlich verinnerlichen.

Landschaftsfotografie Berg Gipfel Weide Pferde
zentrale Paoli-Statue in CorteVintage Plakette Brühewürfel alte WerbegrafikKorsisches Nationalemblem Mohrenkopf als Relief an einer StatueVintage Menükarte Rohling der Firma Mattei. Werbegrafik für korsische ErzeugnisseMaria-Statue in der Wand eingelassen in CortePanorama von CorteEsel in CorteAlte Fotografie einer Frau mit Esel im Nationalmuseum in Corte

Tag 6
Corte und 14 juliet

Zweiter Versuch mit dem Zug, ca. 2 Stunden in das Landesinnere durch beeindruckende Berglandschaften.
In Corte beschauliche Neustadt, dann Aufstieg in die Altstadt. Extrem tourisiert  (siehe Bemerkung von gestern) aber wunderschöne Landschaft und herrlich altbacken. Wir essen Tintenfischsalat und einen Fraise Melba. Besuch im Nationalmuseum nicht sehr beeindruckend, die Zitadelle ist wegen den Vorbereitungen des Nationalfeiertags geschlossen, die Museumsausstellung eher klein. Alte Fotos der Einwohner gleichen dem Anblick heute sehr.
Abstieg über abenteuerlichen Wander-„Weg”. Zuerst glaube ich nicht daran, dass wir unser Ziel noch finden, dann aus dem Dickicht ein paradiesischer Badegumpen am Fluss Tavignano, mannshohe glatt geschliffene Bergbrocken und kristallklares plätscherndes Wasser. Erlösung von der Hitze. Ich glaube ich weiß jetzt, wie meditieren geht.

Zugfahrt zurück ebenso schön, jetzt im goldenen Licht des Sonnenuntergangs. Habe einen kleinen Zeitraffer aufgenommen. Ankunft in Bastia, die einem Ameisenhaufen gleicht. Aus dem Umland sind viele wegen des französischen Feiertags (Sturm auf die Bastille 1789) angereist. Die Mädels sind aufgetakelt, es liegt gute Laune in der Luft. Irgendwie hätten wir auch selbst drauf kommen können, dass am Nationalfeiertag alle Restaurants restlos überfüllt sind, naja, wir sind halt peilo. Stattdessen finden wir kurz vor 22 Uhr noch ein kleines Café in einer Seitengasse der Einkaufsstraße, das uns noch platziert. Es gibt ein großes Feuerwerk mit Drohnenshow am Hafen und wir sind der Teil der Menge, in der sich alle zusammen zugehörig fühlen. Die Franzosen wollen sie zwar nicht hier haben, aber der esprit „Liberté, égalité, fraternité" liegt dennoch in der Luft.

Lisa nachdenklich, gegen einen großen Felsen gelehnt, badend im FlussbachAndy auf Stein sitzend am FlussbachBadegumpen im Landesinneren von Korsikasüdländische Eidechse
Antike Ruine eines Wachturms am Cap Corse

Tag 7
Fataler Strandtag

Bevor unser Urlaub mit zwei actionreichen Tagen zu Ende geht, wollen wir noch etwas entspannen. Im Leclerc kaufen wir einen Strandschirm und machen uns zu Fuß auf den Weg nach Arinella, weil wir sonst eine Stunde auf den Zug warten müssten. Schon vor unserer Ankunft merke ich, dass die Sonne zu intensiv ist. Unsere innere Uhr scheint nicht kompatibel mit dem Alltag der Insel, wir sind immer entweder zu früh oder zu spät. Deswegen müssen wir jetzt fix etwas zu Essen bestellen, bevor das Strandbistro wieder in die Mittagspause geht, obwohl wir erst vor einer Stunde gefrühstückt haben. Sodann folgen einige beruhigte Stunden unter unserem Schirmchen mit Abkühlung im Wasser hie und da. Zwei Mal beobachten wir, wie ein Mann gefährliche lila Quallen aufspießt und in die Dornensträucher an der Promenade feuert.
Wie war das mit der inneren Uhr? Weil ich mich beim Studieren des Fahrplansverlesen habe, dürfen wir 50 Minuten auf den nächsten Zug warten, denn der eigentlich Auserwählte fährt samstags nicht. Während wir warten, beginnt meine Haut schmerzhaft zu spannen. Als wir in Bastia ankommen, sind meine Beine rot wie die Tomaten am Markt. Obwohl wir den ganzen Tag im Schatten waren, hatte die Sonne hier so viel Kraft, dass die Strahlung trotzdem ausgereicht hat, uns zu verbrennen.

An Tag 7 von insgesamt 10 Urlaubstagen haben wir es endlich geschafft, im Restaurant Concorde platziert zu werden. Das hatten wir bereits am ersten Tag ins Auge genommen, aber stets hatte irgendein Vorkommnis verhindert, dass wir dort essen konnten. Heute haben wir es geschafft! Beide unsere Pizzen schmecken super, aber besser als in Neapel werde ich wohl nie wieder eine Pizza erleben.
Zurück im Zimmer und wir inspizieren das Unglück. Schultern, Rücken und Beine komplett verbrannt, ich bin krebsrot und kann nicht auf dem Rücken liegen vor Schmerzen. Über Nacht entwickeln sich Brandblasen auf meinen Schultern. Strandtag für morgen ist also abgesagt.

Tag 8
Zur Ruhe kommen

Heute mal nicht viel, weil wir kaputt sind. Wir gehen etwas einkaufen, beschauen uns den Markt am Napoleonsplatz, aber finden nichts Bemerkenswertes. Viele Frauen tragen hier grelle Blumenmuster in den zierlichen Kleidergrößen der Italiener, leider nichts für mich. Aber man kann gut lernen, mit welchen Schnitten sich die Hitze besser bewältigen lässt. Diese Lektion nehme ich gerne mit nach Hause.
Wir chillen auf dem Zimmer bei erholsamen 20 Grad per Klimaanlage. In den deutschen Nachrichten wird seit mehreren Tagen über Hitzewellen im Süden Europas berichtet, zum Beispiel Sardinien direkt unter uns mit bis zu 40 Grad. Hier in Bastia ist es zwar auch heiß, aber nicht lebensgefährlich. Verrückt, was ein paar Meter Richtung Süden für Ausmaße annehmen kann.

Medusa-Qualle auf steinigem MeeresgrundSonnenbrand am RückenPalmen und altmodische Laterne vor einem violetten Sonnenuntergang am Napoleonsplatz in BAstia

Tag 9
Bootstour an das Cap Corse

Mit neuer Kraft spazieren wir in den Porto Vecchio und besteigen die Santa Maria 2 auf eine Tour an die nördlichste Spitze der Insel. Der Guide Axel, ein charmanter Mann vom süditalienischen Typ, erzählt an den Stationen über die Geschichte der korsischen Siedlungen, ihrem Handwerk, den Reedereien und Weinterassen und das immer wachsame Auge der Genoveser Adeligen auf ihre Handelsrouten. Unterwegs immer wieder antike Verteidigungstürme, mit denen sich die Siedler durch das Flammenlicht-Kettensystem gegenseitig vor den Piraten warnten. Die Fahrt findet auf Französisch statt, aber Axel gibt sich viel Mühe, für die zwei Engländer zu übersetzen, ich übersetze für Andy auf Deutsch. Die anderen Franzosen an Bord sind guter Laune und quatschen ununterbrochen wie die Spatzen im Nest. Der kühle Fahrtwind tut gut auf der wunden Haut. Über das malerische Erbalunga und Porticciolo geht es bis zur Ile de la Giraglia. Kurz vor der Ankunft verschränkt Axel die Arme vor der Brust, „ab hier nichts mehr!", Niemandsland, keine Siedlungen, die Klippen werden immer schroffer.

Angekommen können wir in einem Riff neben anderen luxuriösen Yachten im türkisblauem Wasser baden, ich passe wegen des Sonnenbrands, Andy lässt sich von ein paar Meerbrassen beäugen. Während der Pause belausche ich das Gespräch der Franzosen und Axel und traue meinen Ohren nicht. Am schönsten Ort der Welt diskutieren sie über Politik, Inflation und die Unruhen in Paris, dazu gibt es Wein aus dem Tetrapack. Ich lasse mich lieber vom Wellenmuster hypnotisieren. Ohne Zwischenstopp geht es dann zügig zurück nach Bastia. Beim Anlegen sagen sie zu Axel, der behutsam an die Betonkante steuert: „Gut gemacht, perfekt, Bravo!" Er antwortet verstimmt: „Ich weiß". So sind sie, die Leute auf Korsika, kratzbürstig, diese  Bevormundung der Kontinentalen gefällt ihnen eben nicht.
Am Nachmittag packen wir schon mal unsere Sachen für die Abreise und sind gespannt auf unseren letzten großen Ausflug.

Panorama von ErbalungaSchwimmender Mann im Wasser türkis Fische
Badestelle im Vallée d'Asco

Tag 10
Storia Corsa Tour Mini-Bus

Unser letzter Tag war ereignisreich, daher etwas mehr zu erzählen.

Morgens treffen wir Benjamin und seinen Neunsitzer an der Touristeninfo. Zuvor haben wir per Mail reserviert, er erkennt mich vom Foto her. Auch diese Reise findet auf Französisch statt, dieses Mal keine Übersetzung, und ich gebe mein bestes, mich in der Sprache zu verständigen, ohne ins Englische zu fallen. Verstehen kann ich alles gut, nur das freie Reden fällt mir sehr schwer. Egal, los geht's, wir fahren durch Bastia, die anderen aus ihren Hotels abholen. Da widerfährt mir gleich zu Anfang ein furchtbarer Fauxpas. Benjamin fragt uns über unseren Urlaub aus, da rutscht es mir raus. Zum ersten Mal in einem französischen Land, dabei wollte ich sagen, in einem französisch-sprachigen Land. Ohje, Benjamin braust auf, lacht sarkastisch, er sagt, die Leute hier mögen ganz sicher nicht Franzosen sein. Aber er ist nicht böse, sicher bin ich nicht der erste Tourist mit einem dummen Spruch. Nach Sitzplatzumverteilung kündigt er den anderen Mitreisenden lauthals an, dass „wir zwei Deutsche mit an Bord" haben, alle schauen uns an, herrlich peinlich. Unterwegs halten wir beim Haus des Guides an, er hat seine Mütze vergessen. 

Weiter geht's ca. 40 Minuten ins Innere der Insel nach Castelli-di-Rostino an die Ponte Novu über dem Fluss Golo, den wir ja schon in Casamozza entdeckt hatten, so schließt sich der Kreis. Benjamin zeigt auf die schmale Brücke, die ursprünglich genau zwei Esel breit war und dem täglichen Transport von Waren von den Bergen an die Küste und zurück diente. An dieser Brücke scheiterte im Jahr 1769 die Verteidigung der korsischen Unabhängigkeitsbewegung Paolis, die Insel ging an französische Herrschaft. Zerstört wurde die Brücke dann im zweiten Weltkrieg durch die amerikanischen Truppen, die damit die Transportlieferungen der Deutschen abschnitten und maßgeblich zum Erfolg der Alliierten beitrugen. Wieder alle Blicke auf uns.

Entlang waghalsiger Serpentinen geht es durch die Kastanienwälder in die Bergdörfer nach Rustinu. Bei einer Heidewanderung lässt uns Benjamin an verschiedenen Heilkräutern schnuppern, zeigt uns Hexenringe aus Steinen und erklärt von den heidnischen Ritualen der Bergleute. Ein paar Minuten später schließt er am äußersten Punkt eines Klippenvorsprungs eine uralte Kirche aus dem 12. Jahrhundert mit einem klobigen Eisenschlüssel auf, lehnt sich entspannt an die kostbaren Wandmalereien, dass mir bald die Augen aus dem Kopf fallen, und veranschaulicht den Kindern die Bedeutungen der religiösen Bilder: Blau wie der Himmel, Rot wie das Blut, die sieben Sünden und Jesus, der uns anstarrt, egal von welcher Kirchenecke aus man ihn anschaut. Er erklärt: Den gotischen Kirchen im Norden (er sagt Mailand, haha) fehlt es an Licht, deswegen haben sie riesige bunte Fenster. Hier hat man das gegenteilige Problem, die Sonne ist unablässig, deswegen sperrt man sie aus. Einzig die schmale Scharte lässt einen hauchdünnen, goldglitzernden Strahl Sonnenlicht herein, durch den man „Gott spüren, ihn berühren und ihm nahe sein" konnte. So wird das Licht wieder zu etwas besonderem.
An einer unbeirrten Kuh vorbei erreichen wir eine zweite uralte Kirche, diesmal eine Ruine mit einem Taufbecken, extra mit einem Gatter abgesperrt, damit ebenjene wilden Kühe nicht einfach auf das Gelände spazieren. Der Standort gibt Forschenden ein Rätsel auf, weil keinerlei archäologische Überrreste einer Siedlung nachgewiesen werden konnten. Nur ein einzelner Feigenbaum auf einer Lichtung. Benjamin gestikuliert mit zwei hohlen Händen eine leicht gebogene Form, lächelt verlegen, „un symbole féminin, de la création divine".

Ein nächstes komedisches Highlight war das Mittagessen. Wieder starren uns alle an, weil wir keinen Aperitif und keinen Wein trinken wollen. Beignets und korsische Wurst sind lecker, doch es folgt ein furchtbar zäher Rindereintopf als Hauptgang. Dann wieder verwirrtes Starren, weil Andy keinen Käse essen möchte. Das Dessert war ein wirklich ekelhafter, knietischiger Creme-Kuchen. Es gibt Schnaps, der so scharf ist, dass Dames et Messieurs husten und prusten. Man sagt ja oft den Deutschen nach, dass sie viel essen, aber die Franzosen übertrumpfen das locker. Keine 10 Minuten später geht es nach diesem Vier-Gänge-Fiasko weiter über die ruckeligen Straßen in das Vallée d'Asco.

Wir fahren durch reißerische Klippen, locker geht es dort 10, 20 Meter in die Tiefe, links und rechts ohne Sicherung alles mit fremden Kennzeichen zugeparkt. Ich frage mich, ob schon mal ein Auto runtergefallen ist. Als wir aussteigen, zeigt das Thermometer 44 Grad. Noch nie im Leben habe ich so eine Hitze erlebt. Es ist staubtrocken und die Klippen strahlen ab wie ein Backofen. In Flipflops (sicher, dass die nicht schmelzen?) geht es einen wackligen Fußpfad hinab ins Tal zu einer ähnlichen Badestelle, wie wir sie in Corte schon erlebt haben. So klingt der Ausflug aus. Die Rückfahrt erfolgt ebenso zügig und wortlos wie auf dem Boot mit Axel, die Kiddies sind vor Erschöpfung eingeschlafen, Benjamin lässt uns als letzte raus. So endet unser Urlaub mit einem echten Highlight.

Diesen Tag werde ich NIE vergessen.

Panorama der Ponte Novu in Rustinu auf Korsikahelle Füße in klarem Wasser mit bunten Steinen Bergfluss

Résumé
Und das war nur der Norden!

Der Urlaub auf Korsika war in vielfacher Hinsicht eine Offenbarung für mich. Nicht nur bin ich mir jetzt wieder deutlich bewusst, wie gerne ich mein Zuhause habe, wie sehr ich doch wider Erwarten hier verwurzelt bin, wie viele deutsche Eigenarten ich doch habe. Viel mehr noch bin ich mir klar geworden, dass ich meine Kenntnis der französischen Sprache ohne den Einsatz in echten Lebenssitationen nicht ernsthaft weiter verbessern werde.

Der Einblick darin, wie normale Leute weiterleben, obwohl ihre Heimat überrannt, ausgelacht und verkauft wird, war ernüchternd. Doch bewundere ich die Widerstandskraft der Einwohner, ihre Charakterstärke und ihr unermüdliches Selbstbewusstsein. Es ist eine Sache, wenn man sich von Pauschalurlauben im verarmten globalen Süden fernhält, um die Ausbeutung nicht weiter zu fördern. Eine andere Sache ist es, zu sehen, wie etablierte europäische Regionen weiterhin als Kolonie verstanden und behandelt werden. Die Menschen hier erleben ähnlich wie bei uns zuhause eine unbarmherzige Gentrifizierung und steigende Lebenskosten durch eine globalisierte Wirtschaft, nur ist hier noch weniger Platz. Auch wir kennen das Gefühl der Hoffnungslosigkeit, sich kein Eigentum leisten zu können, weil erschwingliche Wohnräume durch internationale Investoren gestohlen werden. Was ist denn daran noch Heimat? Dabei wird die Tradition auf Korsika doch sehr ernst genommen. Entfernt man sich etwas aus den großen Zentren, so kann man noch das alte Korsika entdecken. Besonders gefallen hat mir deswegen die persönliche Note der Unternehmungen mit Axel und Benjamin. Die Dörfer, die Kirchen, das bodenständige Essen und das italienische Dolce Vita verleihen ihre eigenen Nuancen abseits des Kommerz.

Die Schönheit der Natur ist atemberaubend und von ganz anderer Art als zuhause. Sie ist üppig, nicht zurückhaltend, herb und süß, allgegenwärtig. Unschlagbar ist die Vielfalt der Insel. Es gibt Sand- und Steinstrände, Städte und Dörfer, Wasser und Berge, Zivilisation und Wildnis. An den Alltag in der Hitze würde ich mich wohl nie gewöhnen können, an das Eis und den Käse wohl schon. Auch wenn einige unserer Vorhaben nicht geklappt haben, so behaupten wir dennoch, viel vom Norden Korsikas erkundet und verstanden zu haben. Vielleicht kommen wir irgendwann zurück, um den Süden zu sehen - wenn die Korsen es erlauben. Und wenn wir ein Auto bekommen. Au revoir!

Sonnenuntergang über den Häusern von Bastia